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Leben wir wirklich schon die Kunst 2.0

Einige Randbemerkungen über das geheime Leben der postmodernen Kunst

Wiener Kunsthefte – Ästhetische Theorie

„Eines Tages werden wir keine Bilder mehr brauchen, wir werden einfach glücklich sein.“
(Gerhard Richter)

Wir müssten alles so sehr wie möglich vereinfachen; jedoch nicht mehr.“
(Albert Einstein)

1. Konfusion im Genom?

Vom 1. bis 5. September 1998 fand in Ljubljana der 14. internationale Kongress für Ästhetik statt. Den Abschlussvortrag hielt der deutsche Ästhetiker Wolfgang Welsch. Dieser zeigte bzw. „wies“ in einem der provokativsten und aufsehenerregendsten Beiträge „nach“, dass der Sport, geht man von den im postmodernen Kunstbegriff einbezogenen Parametern aus, nicht mehr und nicht weniger als eine besondere Form der Kunst ist.[1] Sozusagen eine „Kunst für jedermann“.[2] Und zwar einfach deshalb, weil der Sport im gesellschaftlichen Leben sozusagen dieselben Funktionen besitzt wie die postmoderne Kunst, inbesondere aber deshalb, weil er diese Funktionen für ein unvergleichlich breiteres Publikum beansprucht, als heute von der Kunst angesprochen und aktiviert werden kann.
Die interessanteste Frage, die aus der Reflexion von Welsch hervorgeht, ist jedoch nicht, ob der Sport eine Kunst ist oder nicht, sondern die Frage, was in der Postmoderne mit dem Kunstbegriff passiert ist, dass einst gänzlich unmissverständlich differenzierte Phänomene unter demselben Dach vereint werden können. Vor allem aber die Frage, was die Gründe und die langfristigen Folgen des so veränderten Begriffs sind.

2. Im Spinngewebe der Logik des Bumerangs

Heute kann auch der Laie mit bloßem Auge erkennen, dass wir in einer Zeit leben, in der die moderne Welt eigentlich nicht weiß, was sie mit der bildenden Kunst, wie wir sie bisher kannten, anfangen soll: Soll sie sie zurück in die Rituale und handwerkliche Glückseligkeit von Altamira oder nach vorn in die hochtechnisierte Glückseligkeit digitaler Utopie oder gleich in die Glückseligkeit von beidem zugleich schubsen? Eigentlich weiß sogar die Kunst selbst nicht ganz genau, was sie mit sich anfangen soll. Sie fühlt sich verloren und irgendwie überflüssig inmitten der futurologischen Euphorie, die durch die Entwicklung der Computertechnologien Auftrieb bekommt, und inmitten der seriellen Monotonie des postindustriellen Alltags. Sie sucht nach Lösungen in verschiedenen Richtungen. Vor allem aber versucht sie die Aufmerksamkeit der Menschen zu erregen (die ihre Aufmerksamkeit auf nichts mehr lenken können). Da sie sie immer schwerer anspricht, folgt sie ihnen in ihren Alltag. Sie saugt diesen auf in der Hoffnung, dessen ephemere Bedeutung – wie einst – zu verändern und dessen Trivialität einen Sinn zu geben. Sie spielt mit ihm, ironisiert ihn, passt sich ihm an und verschmilzt sogar mit ihm hin und wieder bis zur skandalösen Untrennbarkeit …
Jedoch werden die Menschen auch von der Thematisierung ihres Alltags und vom Abriss der Berliner Mauer zwischen hoher und Popkultur verstört. Was sollen sie nämlich von einer Bildhauerei halten, die bei gefundenen Gegenständen und Kitsch schmarotzt, von einer Malerei, die in das Kokettieren mit formaler und geistiger Anspruchslosigkeit abglitt, von Installationen, die versehentlich weggeräumt werden können (worauf ein Fernsehspot in Slowenien anspielt), von Performances ohne Artefakt u. ä. Es gibt viele, die dabei den Kopf schütteln und an die geistige Leere der von allem übersättigten (Pseudo)künstler denken. Mit Recht?
Werfen wir einen Blick auf die Koordinaten, in denen diese wunderlichen Früchte sprießen. Werfen wir einen Blick auf diese Hysterie von Tempo und Produktion rund um uns, dieses atemlose Überrunden in den technischen Erfindungen, diesen hirnbetäubenden Lärm der Medien, diese Flucht vor der Stille, diese Ausscheidung des Grundsatzes der Kontemplation, diese unbewusste Flucht davor, für einen Moment seine Computer- oder Handy-Hysterie zu stoppen und sich zu fragen: wohin? Wohin gehe ich, wohin geht unser Planet, wohin all dieses Geborenwerden und Sterben, all diese Wissenschaft, Kunst, Technik, Politik …? Wenn wir die Dinge unter diesem Aspekt betrachten, gibt es wahrscheinlich nicht viele, denen es nicht klar geworden wäre, dass die Werke der zeitgenössischen Kunst keine Kaprizen oder Provokationen professioneller Exzentriker sind, sondern eher hamletsche Spiegel, in denen sich das existentielle Profil unserer Zeit spiegelt. In ihrem Spiel mit dem Absurden die grundlegende Irrationalität, die – allem Anschein zum Trotz – unsere computergesteuerte Welt antreibt (von dort die Probleme der Ökologie, Drogensucht usw.). In ihrer Maßlosigkeit das Fehlen des rechten Maßes in unserem Leben. In ihrem Anarchismus und Populismus unsere Unfähigkeit, sich selbst vernünftige Grenzen und Ziele zu setzen. In ihrem ostentativen Hermetismus der Widerstand des Menschen gegen das Antasten seiner Privatsphäre. In ihrem Schamanismus die Gier nach kommerziellem Erfolg und Ruhm, aber auch das Verlangen nach etwas Geheimnisvollem, Anderem …
Den Spiegel, der ein unliebsames Bild zeigt, wegwerfen?

3. Der Kunstbegriff und die Kunst in der Auffassung von heute

Es ist eine Tatsache, dass es einerseits eine wahre Flut von Definitionen der Kunst gibt und wir andererseits noch heute über keine einzige verfügen, die so komplett wäre, dass sie in allen Fällen gelten würde, so operativ, um mit ihrer Hilfe Kunstwerke von Nichtkunstwerken praktisch unterscheiden zu können, und so begründet, dass sie für alle nicht nur akzeptabel, sondern einfach logisch verpflichtend wäre.
Die Gründe für diesen Zustand liegen in der Natur der Erscheinung, die wir Kunst nennen, und in der Logik des Kunstbegriffs. Diese Logik ist zumindest teilweise schon aus dem Gebrauch des Wortes „Kunst“ ersichtlich.[3] Betrachtet man diesen Gebrauch genauer, entdeckt man bald, dass das Wort „Kunst“ in der Sprache wie eine semantische Amphibie funktioniert. Wenn wir fragen: „Was ist Kunst?“ und dabei erfahren wollen, um welche Erscheinungsarten es geht, verwenden wir es substantivisch. Wenn wir aber beispielsweise bei einem konkreten Artefakt entrüstet ausrufen: „Was? Das soll Kunst sein?“, verwenden wir es attributiv. Aus den beiden Beispielen ist ersichtlich, dass das Wort „Kunst“ gleichzeitig zwei verschiedene Aspekte der Kunst, zwei verschiedene Inhalte bezeichnet und deshalb der Repräsentant zwei verschiedener Kunstbegriffe ist – eines empirisch-deskriptiven und eines normativen.[4] Wenn man sich die Veränderungen ungefähr ansieht, denen die Erscheinung Kunst im 20. Jahrhundert begriffsmäßig unterworfen war, dann kann ich sofort sagen, dass die normative Komponente dieser Auffassung zusammen mit ihrer Restriktion immer mehr abstumpfte und in den Hintergrund rückte, während sich die empirisch-deskriptive Komponente inhaltlich immer mehr ausdehnte und sich in verschiedene Richtungen öffnete. Die ersichtlichen Folgen einer solchen Entwicklung sind der heutige axiologische Relativismus (sprich Desorientierung) und eine extrem große Erweiterung des Gebiets der Kunst, die sich in einer Aufweichung der Grenzen zwischen Kunst und „Leben“ und zwischen den Kunstgattungen selbst ausdrückt. Diese Erweiterung und diese Aufweichung haben viele konkrete Formen und zwei Hauptrichtungen.
Zunächst – aufgrund Raummangels – etwas über die Formen. Die früheste Form dieser Erweiterung und Aufweichung ist die Einführung profaner Materialien in der künstlerischen Produktion, die mit der Technik der Collage auftrat. Dann ist hier die Idee des Gesamtkunstwerks und ihre permanente Wiedererweckung in der westeuropäischen Kunst zu nennen.[5] Es folgt das neuzeitliche Bedürfnis nach Transzendenz der künstlerischen Sphäre und nach Herstellung einer möglichst unmittelbaren Verbindung mit der Sphäre des Lebens. Die Künstler wollen – ähnlich wie die Philosophen – ihre Kunst nicht „nur“ erzeugen, sondern „leben“. Und von ihr leben. Dies erfordert aber Popularisierung und Marketing. Heute wird die Phantasie der Menschen immer mehr vom Kunstwerk als Massenereignis anregt. Die postmoderne Kunst hat das Bedürfnis, die Wirkungen der Popkultur auszunutzen und sogar mit dieser zu konkurrieren (Konzerte im Stadion, Kunstmessen u. ä.). Dies ruft jedoch wieder Konflikte und Missverständnisse hervor, da die Arbeiten, die Konzentration, Meditation, Ernsthaftigkeit u. ä. erfordern, gegen den Lärm anzukämpfen haben, den die Formen der Popkultur ringsherum verursachen.[6] Die Realisation aller inhaltlichen Veränderungen, die in der Auffassung und Praktizierung der Kunst im 20. Jahrhundert eintraten, ermöglichten jedoch zwei konzeptuelle und formenerzeugende Verschiebungen, die zugleich die Folgen der veränderten Umstände und Grundlagen ihrer formenerzeugenden Operationalisierung sind. Es sind dies die Verschiebung vom Werkhaften zum Performativen und die Verschiebung vom Konstruktiven zum Kritischen.

4. Vom Werkhaften zum Performativen

Diese Verschiebung ist schon auf der terminologischen Ebene erkennbar. Gelegentlich wurde die Kunst mit Ausdrücken wie Werk, Form, Realisation, Komposition, Originalität, Ausdruck u. ä. beschrieben. Heute sprechen wir von Events, Spiel, Inszenierung, Projekten. Die Aufmerksamkeit hat sich somit offenkundig vom Resultat auf den Prozess verlagert. Wichtig wird der Prozess, das Resultat ist nur noch ein Nus-Produkt. Für diese Verschiebung gibt es zumindest drei Gründe.
Der erste, meist unbewusste Grund ist darin zu suchen, dass der Künstler zumindest den Prozess der Artikulation genießen möchte, wenn schon der Genuss des Resultats, das schwer erreichbare Originalität, archetypischen Charakter und soziale Resonanz der Form voraussetzt, so unzugänglich ist. Und den Prozess kann mit ihm auch das Publikum genießen.
Der zweite Grund für die Verschiebung zum Performativen hängt mit der Resonanz der hegelschen Erkenntnis zusammen, dass der Weg zur Wahrheit zugleich auch schon ein Teil (und zwar ein bedeutender Teil) der Wahrheit selbst ist. Für den Menschen ist der Weg wichtig, nicht das Resultat. Der Weg ist etwas Unmittelbares. Auf dem Weg macht der Mensch Erfahrungen und gewinnt er Erkenntnisse, und was er erfährt und erkennt, ist für ihn etwas höchst Intimes, Komplexes, Begeisterndes … und Unveräußerliches. „Malerei ist unmittelbare Aktion, … Selbsterfahrung, eine Gestaltungsorgie ohne Ende“, schrieb Jackson Pollock. Alles mündet somit in die Formel: Das Resultat ist im Grunde der Prozess, der Prozess ist das tatsächliche (nicht nur das „angehaltene“) Leben. Und zwar sowohl für den Künstler als auch den Betrachter.
Der dritte Grund ist subversiver Natur. Er stellt den gewollten und bewussten Widerstand der Künstler gegen die Logik des Kunstmarkts dar. „Wenn es kein Kunstwerk mehr gibt, gibt es nichts, was verkauft und womit spekuliert werden könnte“, lautet diese subversive Maxime, die aber in der Praxis nur ausnahmsweise vollkommen konsistent verwirklicht ist. Auch die Künstler sind nämlich nur Menschen, die essen und Miete, Strom usw. zahlen müssen.

5. Vom Konstruktiven zum Kritischen

Besonders symptomatisch und entscheidend, vor allem, wenn wir die Sache unter dem Aspekt der Zukunft betrachten, ist aus meiner Sicht die Verschiebung vom Konstruktiven zum Kritischen.
Die kognitiven Psychologen behaupten, dass es nur zwei grundverschiedene Denkmodi gibt: kritisches und konstruktives Denken. Kritisches Denken ist ein Denken, das analysiert, beurteilt und zu den schon bestehenden Thesen, Ideen und Resultaten Stellung nimmt. Konstruktives Denken ist jedoch jenes Denken, das diese Thesen, Ideen und Resultate formiert bzw. hervorbringt. Kritisches Denken ist reaktiv (ist immer Reaktion auf etwas schon Bestehendes), konstruktives Denken jedoch produktiv (da es neue Strategien, Ideen, Alternativen usw. produziert).
Kritisches Denken hat in zwei Formen gesellschaftlicher Verhältnisse große Bedeutung: in einer sehr stabilen Gesellschaft, wo jede neue Idee, die die Stabilität gefährden könnte, kritisch beurteilt werden muss, und in einer Gesellschaft, die von kreativer Energie sprüht, weshalb in der Vielzahl der entstehenden neuen Ideen kritisch die Spreu vom Weizen getrennt werden muss. Wir können feststellen, dass keiner der beiden Zustände die Realität unserer Zeit spiegelt.
Die These, dass die Bildung der Entwicklung eines „kritischen Geistes“, einer „kritischen Intelligenz“ usw. dient, wird im Westen von vielen geglaubt. Dabei wird aber vergessen, dass zuerst etwas notwendig ist, das der Kritiker kritisieren kann. Dies kann jedoch nicht mit kritischem, sondern mit konstruktivem Denken erzeugt werden. Eine ausgeprägte konkrete Form konstruktiven Denkens war in der westlichen Kultur seit jeher die Kunst. Die Kunst produzierte immer neue, noch nicht gesehene Formen, mit denen sie frappierte; immer artikulierte sie alternative ideelle Werte und Lebensziele, stets verstand sie es, die Phantasie zu inspirieren und die Imagination zu verändern, … und immer war sie es, die mit ihren Formen die Eliten (Mäzene, Kritiker, Politiker usw.) zwang, dazu Stellung zu nehmen.
Betrachtet man die postmoderne Kunst aus dieser Perspektive, ist eine erstaunliche Sache festzustellen. Nämlich die, dass die postmoderne Kunst die Aufgabe, die sie früher erfüllte, immer schwieriger bewältigt und die Wirkungen, die ihr Markenzeichen trugen, immer schwerer erzielt. Wirklich neue Formen produziert sie fast nicht mehr, vielmehr behandelt und nutzt sie „kritisch“ bereits bekannte Formen (Readymades, Retro-Prinzip, Installationen usw.). Anstatt den aktuellen Lebensweisen und ideellen Werten Alternativen entgegenzustellen, parasitiert sie an ihnen oder ironisiert sie ohnmächtig. In ihrer nervösen Überaktivität kann sie nicht einmal ihre eigenen, geschweige denn die gesellschaftlichen Akkumulatoren der Phantasie und Imagination aufladen. Ebenso deuten immer mehr Beispiele darauf hin, dass sie sich auch gegenüber den Eliten immer extensiver verhält: Ihre Formen sind nicht mehr die, die von den Eliten fordern würden, dazu Stellung zu nehmen, sondern sie selbst ist „kritisch“ zu den Standpunkten und Schachzügen der Bevormundung und Kapital implizierenden Eliten eingestellt. Kurzum, die postmoderne Kunst wird zu einer immer kritischeren, das heißt reaktiveren (und deshalb leichter beherrschbareren) und immer weniger konstruktiven (und deshalb auch weniger souveränen) Komponente des gesellschaftlichen Lebens. Ein solcher Zustand ist aber im Hinblick darauf, was uns die Kulturgeschichte des Menschen lehrt, weder natürlich noch produktiv.[7] Kurzfristig passt ein solcher Zustand den Eliten, jedoch ist es nur eine Frage der Zeit, wann sie die konstruktiven Potentiale der Kunst vermissen werden, da die Kritikfähigkeit nur ein Korrektiv, nicht aber der Motor einer Entwicklung sein kann.

6. Und dann, wenn alle Tabus fallen?

Wenn ich nun versuche, unter die Erörterung eine Art Schlussstrich zu ziehen, kann ich mit einer Paraphrase des Malers Georges Mathieu feststellen: Die postmoderne Kunst hat sich von allen Kriterien befreit und steht vor dem Nichts dieser Freiheit. Das Abenteuer der Zukunft ist die Strukturierung des Formlosen.
Und was sind die praktischen Folgen des Bewusstseins, dass wir mit den traditionellen Möglichkeiten am Ende sind und alles noch einmal von vorn anfangen müssen, das sich in den Arbeiten praktisch aller Künstler nach dem Zweiten Weltkrieg deutlich zeigt? Wenn ich mich auf das Wesentliche beschränke, haben wir es mit folgender Bilanz zu tun: 1. Die postmoderne Kunst sucht und thematisiert eifrig immer neue und immer provokativere Inhalte; 2. genauso eifrig versucht sie die eigenen Grenzen zu überschreiten und sich dem Leben anzunähern; 3. sie wird immer kritischer und immer weniger konstruktiv. Und welche Potenzen sind in einer solchen konzeptuellen und formenerzeugenden Realität verborgen, wenn wir sie im Hinblick auf die Zukunft betrachten?
Über die Kritikfähigkeit der postmodernen Kunst wurde eben gesagt, dass sie, sobald dies möglich ist, unbedingt das Gleichgewicht mit der konstruktiven Hemisphäre des schöpferischen Willens suchen muss. Insbesondere, wenn sich die Kunst der Zukunft eine Rückkehr zur Glaubwürdigkeit eines produktiven und inspirativen Faktors im gesellschaftlichen Leben wünscht.
Über die Inhalte: Die zeitgenössische Kunst sucht immer neue und immer provokativere Inhalte. Es gibt aber nur wenige, die sich bewusst sind, dass dieses parasitäre Festhalten an den Inhalten nur das unbewusste Suchen einer neuen Form bedeutet. Der neuralgische Punkt der postmodernen Welt ist aus meiner Sicht nicht der Inhalt, sondern die Form, mit der sich diese Welt identifizieren könnte. Und zwar deshalb, weil nur die Form die reale Existenz eines Wertes ist.
Und zum Schluss noch über die Verbindung von Kunst und Leben. Die Kunst war, davon zeugt ihre ganze Geschichte, immer mit dem Leben verbunden, anderenfalls gäbe es sie schon längt nicht mehr, da sie einfach keinen Sinn hätte. Die Gefahr einer postmodernen Verschmelzung von Kunst und Leben liegt nicht in der Verbindung, sondern darin, dass in dieser notwendigen Interaktion das „Leben“ auf seine überaus ephemere und trivialste Schicht zusammenschrumpft. Dass die Gefahr real und ernst ist, beweisen zwei Phänomene, die das postmoderne Schaffen begleiten: das Kokettieren mit der Popularität und die Aufhebung der Grenzen zwischen Kunst und Leben.
Das Kokettieren mit der Popularität, die leicht in Populismus abgleiten kann, ist überhaupt eine der schlimmsten Seuchen, die die Kunst heimsuchen kann – nicht so sehr in ihrer einfachen Form (dem unterdurchschnittlichen oder Allerweltsgeschmack aufzusitzen), als in ihrem kardinalen Manöver: der Simplifikation und dem allgemeinen Sinken der formalen, konzeptuellen und kulturellen Standards.
Eine ähnliche leichtsinnige Gefahr ist in der Aufhebung der Grenzen zwischen „hoher“ und „niedriger“ Kultur verborgen, zwischen Kunst und Leben, zwischen echten und Pseudokünstlern … Wenn wir heute nicht wissen, was Kunst und was Leben ist, werden wir morgen nicht wissen, was Wahrheit und was Lüge ist, und übermorgen nicht mehr, was gut und was schlecht ist. Das heißt aber, dass der Streit über echte und Pseudokünstler, über echte und leichtsinnig proklamierte Kunst kein geringer, marginaler Streit ist, sondern ein Streit, der das Wesen menschlicher Existenz betrifft. Bekanntlich folgen ästhetischem Relativismus sehr rasch auch kognitiver und ethischer Relativismus. Eben dies will aber die postmoderne, konsummäßig globalisierte Welt berechnend erreichen. Einfach deshalb, weil sich erst im Umfeld des universellen Relativismus der unqualifizierte Absolutismus der negativen Elite in vollem Maße inthronisieren kann.
Wer mir nicht aufs Wort glaubt, soll einfach um sich blicken.


Anmerkungen


[1]Cf. Wolfgang Welsch, Sport – Viewed Aesthetically, and Even as Art? in: A. Erjavec (Hrsg.), XIVth International Kongress of aesthetics. Aesthetics as Philosophy, Proceedings I, Ljubljana 1999, S. 213–236.

[2] »Finally, sport has a big advantage over what is usually considered art: it is understandable and enjoyable for practically everyone. To be fascinated with sport you don’t need a diploma – whereas for the enjoyment of modern, difficult art you apparently do.« (ib., S. 233)

[3] Näheres cf. Jožef Muhovič, L’art – cet inconnu, in: Anthropos 4–6 (1994), S, 13–56.

[4] Näheres cf. Jožef Muhovič, Umetnost in norma. O logični naravi estetiške normativnosti (Art and the Norm. On the Logical Nature of Aesthetic Normativity), in: Folozofski vestnik 3 (1999), S. 25–40.

[5] »It is a practice in which painters no longer hesitate to situate their paintings by means of devices which belong to altogether different media – sculpture, video, film, installation, and the like.« (A. C. Danto, After the End of Art. Contemporary Art and the Pale of History, Princeton: Princeton University Press, 1997, S. 12).

[6] Die Art und Weise, in der die Kunst, die die Popkultur um ihre zweifellose Fähigkeit, Aufmerksamkeit zu erregen, beneidet, auf das Niveau des Konkurrenzverhaltens absank, macht einen mutlos.

[7] Dabei stellt sich mit Recht die Frage, ob die beschleunigte Kommerzialisierung und Trivialisierung der Kunst in der postmodernen Zeit nicht bloß eine samtige Form der »Demontage« ihrer manchmal »unangenehmen« konstruktiven (und deshalb subversiven) gesellschaftlichen Funktion ist.

Leben wir wirklich schon die Kunst 2.0

Einige Randbemerkungen über das geheime Leben der postmodernen Kunst

Wiener Kunsthefte – Ästhetische Theorie

„Eines Tages werden wir keine Bilder mehr brauchen, wir werden einfach glücklich sein.“
(Gerhard Richter)

Wir müssten alles so sehr wie möglich vereinfachen; jedoch nicht mehr.“
(Albert Einstein)

1. Konfusion im Genom?

Vom 1. bis 5. September 1998 fand in Ljubljana der 14. internationale Kongress für Ästhetik statt. Den Abschlussvortrag hielt der deutsche Ästhetiker Wolfgang Welsch. Dieser zeigte bzw. „wies“ in einem der provokativsten und aufsehenerregendsten Beiträge „nach“, dass der Sport, geht man von den im postmodernen Kunstbegriff einbezogenen Parametern aus, nicht mehr und nicht weniger als eine besondere Form der Kunst ist.[1] Sozusagen eine „Kunst für jedermann“.[2] Und zwar einfach deshalb, weil der Sport im gesellschaftlichen Leben sozusagen dieselben Funktionen besitzt wie die postmoderne Kunst, inbesondere aber deshalb, weil er diese Funktionen für ein unvergleichlich breiteres Publikum beansprucht, als heute von der Kunst angesprochen und aktiviert werden kann.
Die interessanteste Frage, die aus der Reflexion von Welsch hervorgeht, ist jedoch nicht, ob der Sport eine Kunst ist oder nicht, sondern die Frage, was in der Postmoderne mit dem Kunstbegriff passiert ist, dass einst gänzlich unmissverständlich differenzierte Phänomene unter demselben Dach vereint werden können. Vor allem aber die Frage, was die Gründe und die langfristigen Folgen des so veränderten Begriffs sind.

2. Im Spinngewebe der Logik des Bumerangs

Heute kann auch der Laie mit bloßem Auge erkennen, dass wir in einer Zeit leben, in der die moderne Welt eigentlich nicht weiß, was sie mit der bildenden Kunst, wie wir sie bisher kannten, anfangen soll: Soll sie sie zurück in die Rituale und handwerkliche Glückseligkeit von Altamira oder nach vorn in die hochtechnisierte Glückseligkeit digitaler Utopie oder gleich in die Glückseligkeit von beidem zugleich schubsen? Eigentlich weiß sogar die Kunst selbst nicht ganz genau, was sie mit sich anfangen soll. Sie fühlt sich verloren und irgendwie überflüssig inmitten der futurologischen Euphorie, die durch die Entwicklung der Computertechnologien Auftrieb bekommt, und inmitten der seriellen Monotonie des postindustriellen Alltags. Sie sucht nach Lösungen in verschiedenen Richtungen. Vor allem aber versucht sie die Aufmerksamkeit der Menschen zu erregen (die ihre Aufmerksamkeit auf nichts mehr lenken können). Da sie sie immer schwerer anspricht, folgt sie ihnen in ihren Alltag. Sie saugt diesen auf in der Hoffnung, dessen ephemere Bedeutung – wie einst – zu verändern und dessen Trivialität einen Sinn zu geben. Sie spielt mit ihm, ironisiert ihn, passt sich ihm an und verschmilzt sogar mit ihm hin und wieder bis zur skandalösen Untrennbarkeit …
Jedoch werden die Menschen auch von der Thematisierung ihres Alltags und vom Abriss der Berliner Mauer zwischen hoher und Popkultur verstört. Was sollen sie nämlich von einer Bildhauerei halten, die bei gefundenen Gegenständen und Kitsch schmarotzt, von einer Malerei, die in das Kokettieren mit formaler und geistiger Anspruchslosigkeit abglitt, von Installationen, die versehentlich weggeräumt werden können (worauf ein Fernsehspot in Slowenien anspielt), von Performances ohne Artefakt u. ä. Es gibt viele, die dabei den Kopf schütteln und an die geistige Leere der von allem übersättigten (Pseudo)künstler denken. Mit Recht?
Werfen wir einen Blick auf die Koordinaten, in denen diese wunderlichen Früchte sprießen. Werfen wir einen Blick auf diese Hysterie von Tempo und Produktion rund um uns, dieses atemlose Überrunden in den technischen Erfindungen, diesen hirnbetäubenden Lärm der Medien, diese Flucht vor der Stille, diese Ausscheidung des Grundsatzes der Kontemplation, diese unbewusste Flucht davor, für einen Moment seine Computer- oder Handy-Hysterie zu stoppen und sich zu fragen: wohin? Wohin gehe ich, wohin geht unser Planet, wohin all dieses Geborenwerden und Sterben, all diese Wissenschaft, Kunst, Technik, Politik …? Wenn wir die Dinge unter diesem Aspekt betrachten, gibt es wahrscheinlich nicht viele, denen es nicht klar geworden wäre, dass die Werke der zeitgenössischen Kunst keine Kaprizen oder Provokationen professioneller Exzentriker sind, sondern eher hamletsche Spiegel, in denen sich das existentielle Profil unserer Zeit spiegelt. In ihrem Spiel mit dem Absurden die grundlegende Irrationalität, die – allem Anschein zum Trotz – unsere computergesteuerte Welt antreibt (von dort die Probleme der Ökologie, Drogensucht usw.). In ihrer Maßlosigkeit das Fehlen des rechten Maßes in unserem Leben. In ihrem Anarchismus und Populismus unsere Unfähigkeit, sich selbst vernünftige Grenzen und Ziele zu setzen. In ihrem ostentativen Hermetismus der Widerstand des Menschen gegen das Antasten seiner Privatsphäre. In ihrem Schamanismus die Gier nach kommerziellem Erfolg und Ruhm, aber auch das Verlangen nach etwas Geheimnisvollem, Anderem …
Den Spiegel, der ein unliebsames Bild zeigt, wegwerfen?

3. Der Kunstbegriff und die Kunst in der Auffassung von heute

Es ist eine Tatsache, dass es einerseits eine wahre Flut von Definitionen der Kunst gibt und wir andererseits noch heute über keine einzige verfügen, die so komplett wäre, dass sie in allen Fällen gelten würde, so operativ, um mit ihrer Hilfe Kunstwerke von Nichtkunstwerken praktisch unterscheiden zu können, und so begründet, dass sie für alle nicht nur akzeptabel, sondern einfach logisch verpflichtend wäre.
Die Gründe für diesen Zustand liegen in der Natur der Erscheinung, die wir Kunst nennen, und in der Logik des Kunstbegriffs. Diese Logik ist zumindest teilweise schon aus dem Gebrauch des Wortes „Kunst“ ersichtlich.[3] Betrachtet man diesen Gebrauch genauer, entdeckt man bald, dass das Wort „Kunst“ in der Sprache wie eine semantische Amphibie funktioniert. Wenn wir fragen: „Was ist Kunst?“ und dabei erfahren wollen, um welche Erscheinungsarten es geht, verwenden wir es substantivisch. Wenn wir aber beispielsweise bei einem konkreten Artefakt entrüstet ausrufen: „Was? Das soll Kunst sein?“, verwenden wir es attributiv. Aus den beiden Beispielen ist ersichtlich, dass das Wort „Kunst“ gleichzeitig zwei verschiedene Aspekte der Kunst, zwei verschiedene Inhalte bezeichnet und deshalb der Repräsentant zwei verschiedener Kunstbegriffe ist – eines empirisch-deskriptiven und eines normativen.[4] Wenn man sich die Veränderungen ungefähr ansieht, denen die Erscheinung Kunst im 20. Jahrhundert begriffsmäßig unterworfen war, dann kann ich sofort sagen, dass die normative Komponente dieser Auffassung zusammen mit ihrer Restriktion immer mehr abstumpfte und in den Hintergrund rückte, während sich die empirisch-deskriptive Komponente inhaltlich immer mehr ausdehnte und sich in verschiedene Richtungen öffnete. Die ersichtlichen Folgen einer solchen Entwicklung sind der heutige axiologische Relativismus (sprich Desorientierung) und eine extrem große Erweiterung des Gebiets der Kunst, die sich in einer Aufweichung der Grenzen zwischen Kunst und „Leben“ und zwischen den Kunstgattungen selbst ausdrückt. Diese Erweiterung und diese Aufweichung haben viele konkrete Formen und zwei Hauptrichtungen.
Zunächst – aufgrund Raummangels – etwas über die Formen. Die früheste Form dieser Erweiterung und Aufweichung ist die Einführung profaner Materialien in der künstlerischen Produktion, die mit der Technik der Collage auftrat. Dann ist hier die Idee des Gesamtkunstwerks und ihre permanente Wiedererweckung in der westeuropäischen Kunst zu nennen.[5] Es folgt das neuzeitliche Bedürfnis nach Transzendenz der künstlerischen Sphäre und nach Herstellung einer möglichst unmittelbaren Verbindung mit der Sphäre des Lebens. Die Künstler wollen – ähnlich wie die Philosophen – ihre Kunst nicht „nur“ erzeugen, sondern „leben“. Und von ihr leben. Dies erfordert aber Popularisierung und Marketing. Heute wird die Phantasie der Menschen immer mehr vom Kunstwerk als Massenereignis anregt. Die postmoderne Kunst hat das Bedürfnis, die Wirkungen der Popkultur auszunutzen und sogar mit dieser zu konkurrieren (Konzerte im Stadion, Kunstmessen u. ä.). Dies ruft jedoch wieder Konflikte und Missverständnisse hervor, da die Arbeiten, die Konzentration, Meditation, Ernsthaftigkeit u. ä. erfordern, gegen den Lärm anzukämpfen haben, den die Formen der Popkultur ringsherum verursachen.[6] Die Realisation aller inhaltlichen Veränderungen, die in der Auffassung und Praktizierung der Kunst im 20. Jahrhundert eintraten, ermöglichten jedoch zwei konzeptuelle und formenerzeugende Verschiebungen, die zugleich die Folgen der veränderten Umstände und Grundlagen ihrer formenerzeugenden Operationalisierung sind. Es sind dies die Verschiebung vom Werkhaften zum Performativen und die Verschiebung vom Konstruktiven zum Kritischen.

4. Vom Werkhaften zum Performativen

Diese Verschiebung ist schon auf der terminologischen Ebene erkennbar. Gelegentlich wurde die Kunst mit Ausdrücken wie Werk, Form, Realisation, Komposition, Originalität, Ausdruck u. ä. beschrieben. Heute sprechen wir von Events, Spiel, Inszenierung, Projekten. Die Aufmerksamkeit hat sich somit offenkundig vom Resultat auf den Prozess verlagert. Wichtig wird der Prozess, das Resultat ist nur noch ein Nus-Produkt. Für diese Verschiebung gibt es zumindest drei Gründe.
Der erste, meist unbewusste Grund ist darin zu suchen, dass der Künstler zumindest den Prozess der Artikulation genießen möchte, wenn schon der Genuss des Resultats, das schwer erreichbare Originalität, archetypischen Charakter und soziale Resonanz der Form voraussetzt, so unzugänglich ist. Und den Prozess kann mit ihm auch das Publikum genießen.
Der zweite Grund für die Verschiebung zum Performativen hängt mit der Resonanz der hegelschen Erkenntnis zusammen, dass der Weg zur Wahrheit zugleich auch schon ein Teil (und zwar ein bedeutender Teil) der Wahrheit selbst ist. Für den Menschen ist der Weg wichtig, nicht das Resultat. Der Weg ist etwas Unmittelbares. Auf dem Weg macht der Mensch Erfahrungen und gewinnt er Erkenntnisse, und was er erfährt und erkennt, ist für ihn etwas höchst Intimes, Komplexes, Begeisterndes … und Unveräußerliches. „Malerei ist unmittelbare Aktion, … Selbsterfahrung, eine Gestaltungsorgie ohne Ende“, schrieb Jackson Pollock. Alles mündet somit in die Formel: Das Resultat ist im Grunde der Prozess, der Prozess ist das tatsächliche (nicht nur das „angehaltene“) Leben. Und zwar sowohl für den Künstler als auch den Betrachter.
Der dritte Grund ist subversiver Natur. Er stellt den gewollten und bewussten Widerstand der Künstler gegen die Logik des Kunstmarkts dar. „Wenn es kein Kunstwerk mehr gibt, gibt es nichts, was verkauft und womit spekuliert werden könnte“, lautet diese subversive Maxime, die aber in der Praxis nur ausnahmsweise vollkommen konsistent verwirklicht ist. Auch die Künstler sind nämlich nur Menschen, die essen und Miete, Strom usw. zahlen müssen.

5. Vom Konstruktiven zum Kritischen

Besonders symptomatisch und entscheidend, vor allem, wenn wir die Sache unter dem Aspekt der Zukunft betrachten, ist aus meiner Sicht die Verschiebung vom Konstruktiven zum Kritischen.
Die kognitiven Psychologen behaupten, dass es nur zwei grundverschiedene Denkmodi gibt: kritisches und konstruktives Denken. Kritisches Denken ist ein Denken, das analysiert, beurteilt und zu den schon bestehenden Thesen, Ideen und Resultaten Stellung nimmt. Konstruktives Denken ist jedoch jenes Denken, das diese Thesen, Ideen und Resultate formiert bzw. hervorbringt. Kritisches Denken ist reaktiv (ist immer Reaktion auf etwas schon Bestehendes), konstruktives Denken jedoch produktiv (da es neue Strategien, Ideen, Alternativen usw. produziert).
Kritisches Denken hat in zwei Formen gesellschaftlicher Verhältnisse große Bedeutung: in einer sehr stabilen Gesellschaft, wo jede neue Idee, die die Stabilität gefährden könnte, kritisch beurteilt werden muss, und in einer Gesellschaft, die von kreativer Energie sprüht, weshalb in der Vielzahl der entstehenden neuen Ideen kritisch die Spreu vom Weizen getrennt werden muss. Wir können feststellen, dass keiner der beiden Zustände die Realität unserer Zeit spiegelt.
Die These, dass die Bildung der Entwicklung eines „kritischen Geistes“, einer „kritischen Intelligenz“ usw. dient, wird im Westen von vielen geglaubt. Dabei wird aber vergessen, dass zuerst etwas notwendig ist, das der Kritiker kritisieren kann. Dies kann jedoch nicht mit kritischem, sondern mit konstruktivem Denken erzeugt werden. Eine ausgeprägte konkrete Form konstruktiven Denkens war in der westlichen Kultur seit jeher die Kunst. Die Kunst produzierte immer neue, noch nicht gesehene Formen, mit denen sie frappierte; immer artikulierte sie alternative ideelle Werte und Lebensziele, stets verstand sie es, die Phantasie zu inspirieren und die Imagination zu verändern, … und immer war sie es, die mit ihren Formen die Eliten (Mäzene, Kritiker, Politiker usw.) zwang, dazu Stellung zu nehmen.
Betrachtet man die postmoderne Kunst aus dieser Perspektive, ist eine erstaunliche Sache festzustellen. Nämlich die, dass die postmoderne Kunst die Aufgabe, die sie früher erfüllte, immer schwieriger bewältigt und die Wirkungen, die ihr Markenzeichen trugen, immer schwerer erzielt. Wirklich neue Formen produziert sie fast nicht mehr, vielmehr behandelt und nutzt sie „kritisch“ bereits bekannte Formen (Readymades, Retro-Prinzip, Installationen usw.). Anstatt den aktuellen Lebensweisen und ideellen Werten Alternativen entgegenzustellen, parasitiert sie an ihnen oder ironisiert sie ohnmächtig. In ihrer nervösen Überaktivität kann sie nicht einmal ihre eigenen, geschweige denn die gesellschaftlichen Akkumulatoren der Phantasie und Imagination aufladen. Ebenso deuten immer mehr Beispiele darauf hin, dass sie sich auch gegenüber den Eliten immer extensiver verhält: Ihre Formen sind nicht mehr die, die von den Eliten fordern würden, dazu Stellung zu nehmen, sondern sie selbst ist „kritisch“ zu den Standpunkten und Schachzügen der Bevormundung und Kapital implizierenden Eliten eingestellt. Kurzum, die postmoderne Kunst wird zu einer immer kritischeren, das heißt reaktiveren (und deshalb leichter beherrschbareren) und immer weniger konstruktiven (und deshalb auch weniger souveränen) Komponente des gesellschaftlichen Lebens. Ein solcher Zustand ist aber im Hinblick darauf, was uns die Kulturgeschichte des Menschen lehrt, weder natürlich noch produktiv.[7] Kurzfristig passt ein solcher Zustand den Eliten, jedoch ist es nur eine Frage der Zeit, wann sie die konstruktiven Potentiale der Kunst vermissen werden, da die Kritikfähigkeit nur ein Korrektiv, nicht aber der Motor einer Entwicklung sein kann.

6. Und dann, wenn alle Tabus fallen?

Wenn ich nun versuche, unter die Erörterung eine Art Schlussstrich zu ziehen, kann ich mit einer Paraphrase des Malers Georges Mathieu feststellen: Die postmoderne Kunst hat sich von allen Kriterien befreit und steht vor dem Nichts dieser Freiheit. Das Abenteuer der Zukunft ist die Strukturierung des Formlosen.
Und was sind die praktischen Folgen des Bewusstseins, dass wir mit den traditionellen Möglichkeiten am Ende sind und alles noch einmal von vorn anfangen müssen, das sich in den Arbeiten praktisch aller Künstler nach dem Zweiten Weltkrieg deutlich zeigt? Wenn ich mich auf das Wesentliche beschränke, haben wir es mit folgender Bilanz zu tun: 1. Die postmoderne Kunst sucht und thematisiert eifrig immer neue und immer provokativere Inhalte; 2. genauso eifrig versucht sie die eigenen Grenzen zu überschreiten und sich dem Leben anzunähern; 3. sie wird immer kritischer und immer weniger konstruktiv. Und welche Potenzen sind in einer solchen konzeptuellen und formenerzeugenden Realität verborgen, wenn wir sie im Hinblick auf die Zukunft betrachten?
Über die Kritikfähigkeit der postmodernen Kunst wurde eben gesagt, dass sie, sobald dies möglich ist, unbedingt das Gleichgewicht mit der konstruktiven Hemisphäre des schöpferischen Willens suchen muss. Insbesondere, wenn sich die Kunst der Zukunft eine Rückkehr zur Glaubwürdigkeit eines produktiven und inspirativen Faktors im gesellschaftlichen Leben wünscht.
Über die Inhalte: Die zeitgenössische Kunst sucht immer neue und immer provokativere Inhalte. Es gibt aber nur wenige, die sich bewusst sind, dass dieses parasitäre Festhalten an den Inhalten nur das unbewusste Suchen einer neuen Form bedeutet. Der neuralgische Punkt der postmodernen Welt ist aus meiner Sicht nicht der Inhalt, sondern die Form, mit der sich diese Welt identifizieren könnte. Und zwar deshalb, weil nur die Form die reale Existenz eines Wertes ist.
Und zum Schluss noch über die Verbindung von Kunst und Leben. Die Kunst war, davon zeugt ihre ganze Geschichte, immer mit dem Leben verbunden, anderenfalls gäbe es sie schon längt nicht mehr, da sie einfach keinen Sinn hätte. Die Gefahr einer postmodernen Verschmelzung von Kunst und Leben liegt nicht in der Verbindung, sondern darin, dass in dieser notwendigen Interaktion das „Leben“ auf seine überaus ephemere und trivialste Schicht zusammenschrumpft. Dass die Gefahr real und ernst ist, beweisen zwei Phänomene, die das postmoderne Schaffen begleiten: das Kokettieren mit der Popularität und die Aufhebung der Grenzen zwischen Kunst und Leben.
Das Kokettieren mit der Popularität, die leicht in Populismus abgleiten kann, ist überhaupt eine der schlimmsten Seuchen, die die Kunst heimsuchen kann – nicht so sehr in ihrer einfachen Form (dem unterdurchschnittlichen oder Allerweltsgeschmack aufzusitzen), als in ihrem kardinalen Manöver: der Simplifikation und dem allgemeinen Sinken der formalen, konzeptuellen und kulturellen Standards.
Eine ähnliche leichtsinnige Gefahr ist in der Aufhebung der Grenzen zwischen „hoher“ und „niedriger“ Kultur verborgen, zwischen Kunst und Leben, zwischen echten und Pseudokünstlern … Wenn wir heute nicht wissen, was Kunst und was Leben ist, werden wir morgen nicht wissen, was Wahrheit und was Lüge ist, und übermorgen nicht mehr, was gut und was schlecht ist. Das heißt aber, dass der Streit über echte und Pseudokünstler, über echte und leichtsinnig proklamierte Kunst kein geringer, marginaler Streit ist, sondern ein Streit, der das Wesen menschlicher Existenz betrifft. Bekanntlich folgen ästhetischem Relativismus sehr rasch auch kognitiver und ethischer Relativismus. Eben dies will aber die postmoderne, konsummäßig globalisierte Welt berechnend erreichen. Einfach deshalb, weil sich erst im Umfeld des universellen Relativismus der unqualifizierte Absolutismus der negativen Elite in vollem Maße inthronisieren kann.
Wer mir nicht aufs Wort glaubt, soll einfach um sich blicken.


Anmerkungen


[1]Cf. Wolfgang Welsch, Sport – Viewed Aesthetically, and Even as Art? in: A. Erjavec (Hrsg.), XIVth International Kongress of aesthetics. Aesthetics as Philosophy, Proceedings I, Ljubljana 1999, S. 213–236.

[2] »Finally, sport has a big advantage over what is usually considered art: it is understandable and enjoyable for practically everyone. To be fascinated with sport you don’t need a diploma – whereas for the enjoyment of modern, difficult art you apparently do.« (ib., S. 233)

[3] Näheres cf. Jožef Muhovič, L’art – cet inconnu, in: Anthropos 4–6 (1994), S, 13–56.

[4] Näheres cf. Jožef Muhovič, Umetnost in norma. O logični naravi estetiške normativnosti (Art and the Norm. On the Logical Nature of Aesthetic Normativity), in: Folozofski vestnik 3 (1999), S. 25–40.

[5] »It is a practice in which painters no longer hesitate to situate their paintings by means of devices which belong to altogether different media – sculpture, video, film, installation, and the like.« (A. C. Danto, After the End of Art. Contemporary Art and the Pale of History, Princeton: Princeton University Press, 1997, S. 12).

[6] Die Art und Weise, in der die Kunst, die die Popkultur um ihre zweifellose Fähigkeit, Aufmerksamkeit zu erregen, beneidet, auf das Niveau des Konkurrenzverhaltens absank, macht einen mutlos.

[7] Dabei stellt sich mit Recht die Frage, ob die beschleunigte Kommerzialisierung und Trivialisierung der Kunst in der postmodernen Zeit nicht bloß eine samtige Form der »Demontage« ihrer manchmal »unangenehmen« konstruktiven (und deshalb subversiven) gesellschaftlichen Funktion ist.

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